Seelische Belastungen haben viele Gesichter, und sie zeigen sich oft in gängigen Schlagwörtern wie Trauma, Trauer, Nervenzusammenbruch, Workaholic, Burnout, Hypochonder etc. Im täglichen Sprachgebrauch werden Belastungen auch wie folgt beschrieben: „Eher speziell sein“, „Der hängt ständig an der Decke“, „Ein seltsamer Mensch“, „Ein sonderbarer Charakter“, „Die kann nie stillsitzen“, „Ich drehe gleich durch“, „Ich hab den Blues“, „Sie fällt einem immer ins Wort“, „Sie ist total manisch“, „Der spinnt“, „Ich bin eher ein Melancholiker“, „Er erinnert mich an einen zerstreuten Professor“, „Ich gelte als schwieriger Typ“, „Es war ein lebensveränderndes Ereignis“, „Quartalssäufer“, „Zappelphilipp“.
Allen gemeinsam ist, dass es sich um schwierige innerseelische Zustände und Gefühle handelt, die von Betroffenen mal besser, mal weniger wahrgenommen, aber oft nicht genau benannt werden können. Die manchmal so lapidar im täglichen Sprachgebrauch verwendeten Begriffe und Aussagen sollen etwas ausdrücken, das oft dann doch über das Lapidare hinaus geht und mehr Beachtung braucht.
Häufig leiden wir und halten die Belastung aus, weil es unseren Mitmenschen nicht anders zu gehen scheint. Wir halten es daher für „normal“. Ein grosser Teil seelischer Belastungen reguliert sich zunächst von selbst. Die Medizin spricht von „selbstlimitierenden Verläufen“. Ein hohes Mass an eigener Fähigkeit sich aus belastenden Situationen selbst heraus zu helfen ist dafür ein günstiger Faktor. Doch was „normal“ ist, können Betroffene in vielen Fällen gar nicht mehr richtig einschätzen. Folglich erkennen sie erst spät, dass sich etwas nicht mehr selbst regulieren lässt. Besonders Männer empfinden die Hilfe durch Fachpersonen oft als Schwäche oder Bankrotterklärung der eigenen Stärke.
Ganz gleich wie stark und widerstandsfähig jemand ist – selbst die Stärkste oder der Stärkste wird mit seelischen Symptomen reagieren, wenn sie oder er Qualen und Konflikte allzu lange in und mit sich trägt.
Die Selbsteinschätzung und Eigenverantwortung erschöpft sich dann, wenn das Mass der Zumutbarkeit permanenter Belastungsfaktoren über eine längere Zeit nicht mehr von selbst ausgeglichen werden kann. Häufig greifen Betroffene zu scheinbaren Hilfsmitteln, die leicht verfügbar sind – Alkohol, Beruhigungsmittel und Schlaftabletten vom Hausarzt, Ritalin und Kokain von der Gass. All diese spielen einem vor, dass man sich damit in den Griff bekäme – und für eine gewisse Zeit scheint das zu funktionieren, manchmal geht das jahrelang gut. Am Ende aber steht fast immer der totale Zusammenbruch.
Die moderne Psychologie hat den Begriff der „Resilienz“ eingeführt. Diese beschreibt das Mass grösstmöglicher Widerstandsfähigkeit. Leider bedeutet er für viele: durchhalten, bis es nicht mehr geht. Wenn dieser Punkt erreicht ist, entsteht eine Krisensituation. Das lateinische „crisis“ bezeichnet den Höhepunkt der Entwicklung im Rahmen eines Prozesses. Es bezeichnet aber gleichzeitig einen Wendepunkt – der Punkt, an dem etwas anders werden muss.
Ohne äussere Hilfe bleibt der eigentliche Hintergrund des Leidens oft unklar. Er wird immer weniger (be)greifbar, je länger man die bewährten Methoden der Konfrontation mit diesen Konflikten betreibt. Unklare Ängste spielen bei der Entstehung seelischer Belastungen eine grosse Rolle.
Und hier beginnt der Kontakt mit grundlegenden Konflikten. Jeder erlebt diese in seinem Leben. Es gibt keine Formel, keine Verallgemeinerung im Umgang damit. Wesentlich ist, dass unsere Konflikte im Laufe des Lebens an verschiedenen Stellen eine grosse Rolle spielen. Man kann sagen: Sie erscheinen immer wieder, bis sie gelöst sind.
Manchmal braucht es nicht viel, um diesen Konflikten auf die Spur zu kommen. Im Wesentlichen äussern sie sich durch krisenhafte Situationen, die es uns ermöglichen einen klaren Blick darauf zu werfen. Und wenn Sie bis hier gelesen haben, könnte Ihnen klar geworden sein, dass Sie an genau dieser Stelle stehen.